Gemeinhin wird der Werkstoff Gummi nicht unbedingt mit einem Hightech-Erzeugnis in Verbindung gebracht. Wer sich jedoch einmal ausführlicher mit diesem Material auseinandergesetzt hat, wird seine Meinung sehr schnell ändern.

Gummi ist kein spezifischer Stoff, sondern nur der Oberbegriff für eine Klasse elastischer Werkstoffe, die auch als Elastomere bezeichnet werden. Basis dieser Elastomere ist immer ein Kautschuk, oder ein Gemisch verschiedener Kautschuke. Neben dem wohl bekanntesten Vertreter dieser Spezies, dem Naturkautschuk, gibt es eine Vielzahl synthetischer Polymerisate, die ebenfalls zur Herstellung von Gummi verwendet werden. Naturkautschuk wird aus dem Milchsaft des Kautschukbaumes (für die Botaniker unter uns: Hevea brasiliensis) hergestellt und hat auch heute noch eine technologische und wirtschaftliche Bedeutung. Elastomere, die aus diesem natürlichen Rohstoffe hergestellt werden, sind für viele Einsatzgebiete sehr gut geeignet, aber eben nicht für alle.

Führen Sie sich doch einmal vor Augen, wie viele Bauteile aus Elastomeren in Ihrem Auto verbaut sind. Da sind natürlich die Reifen, aber daneben gibt es noch die Fenster- und Türdichtungen, Schläuche für Kühlwasser und Bremsflüssigkeit, Bauteile zur Vibrationsdämpfung, Auspuffaufhängungen und vieles mehr. Auch die Reifen bestehen nicht aus einem einheitlichen Material. Lauffläche, Innenseele, Seitenwand und andere Komponenten der Pneus haben unterschiedliche Aufgaben zur erfüllen und sind deshalb aus verschiedenen elastomeren Materialien hergestellt.

Es gibt kaum einen Bereich in der Technik, in dem elastomere Komponenten nicht eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Transportbänder, Dichtungen, Schläuche. Membranen, Lager und Aufhängungen seien hier nur als Beispiel genannt. Dabei werden die Bauteile bei tiefen Minustemperaturen eingesetzt, im Wüstenklima oder im Motorraum eines Automobils. Sie kommen mit Säuren, Laugen und allen erdenklichen Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen in Kontakt. Und immer haben sie ihre technologische Aufgabe zu erfüllen.

Das bedeutet nun nicht etwa, dass der Werkstoff Gummi die viel zitierte Eier legende Wollmilchsau wäre. Vielmehr wird das Material für jede Anwendung speziell entwickelt und produziert. Gummi besteht aus einer Vielzahl von Komponenten, die bei einem Mischprozess zu einer homogenen Masse verarbeitet werden. Bei diesen Komponenten handelt es sich um den oder die Kautschuk(e), Füllstoffe, Alterungsschutzmittel, Verarbeitungshilfsmittel, Weichmacher und Vernetzungschemi-kalien.

Wie ober bereits erwähnt , gibt es neben dem Naturkauschuk (für die Chemiker unter uns: cis-1,4- Polyisopren) sehr viele Synthesekautschuke, die durch Polymerisationsprozesse aus verschiedenen Monomeren hergestellt werden. All diese Kautschuke haben ein ganz spezifisches Eigenschafts-profil im Hinblick auf ihre mechanischen und dynamischen Eigenschaften und ihre Beständigkeit gegen die verschiedensten Medien und Umgebungseinflüsse.

Um die technologischen Eigenschaften sozusagen maßgeschneidert einzustellen, verwendet der Compounder (so nennt man Menschen, die sich solche Rezepturen ausdenken) diverse Füllstoffe, von denen manche als aktiv, andere als inaktiv bezeichnet werden. Die aktiven Füllstoffe, in der Regel technischer Russe oder Kieselsäuren, werden mit genau definierten Eigenschafen in unterschiedlichen Sorten produziert . Wichtige Kennzahlen sind z. B. die Primärpartikelgröße und die Oberfläche pro Masse, die eine Information über die Struktur des Materials geben. Diese Füllstoffe bestimmen, neben dem Kautschuk, maßgeblich Härte und die mechanische Belastbarkeit des Gummis.

Des Weiteren verwendet der Compounder so genannte Weichmacher, das können Mineralöl-erzeugnisse sein oder andere chemische Verbindungen (z. B. aus der Gruppe der Ester), die mit dem verwendeten Kautschuk kompatibel sein müssen. Diese Substanzen beeinflussen die Härte des Endproduktes, sind aber auch wichtig für die Verarbeitbarkeit des Rohgummis. Weitere Bestandteile sind Substanzen, die den Alterungsprozess des Gummis verlangsamen oder bestimmte andere Eigenschaften beeinflussen, wie z. B. die so genannte Konfektionsklebrigkeit.

Last but not least werden der Rohgummimischung Vernetzungschemikalien beigemischt, die es ermöglichen aus der verformbaren Masse durch Energieeinfluß ein dauerhaft elastisches Material herzustellen. Bei diesen Chemikalien handelt es sich um Schwefel im Zusammenspiel mit verschiedenen Vulkanisationsbeschleunigern, um organische Peroxide, Harze, Metalloxide und anderen Substanzen. Welche Wahl der Compounder trifft, hängt vom Kautschuktyp und vom angestrebten Eigenschaftsprofil des fertigen Bauteils ab.

Nachdem diese Rohgummimischung nun fachgerecht auf Spezialmaschinen hergestellt wurde, ist die Mischung noch plastisch verformbar und kann mittels Vulkanisationspressen, Kalandern, Extrudern oder Spritzgußautomaten in nahezu jede beliebige Form gebracht werden. Wenn nun der Mischung in diesem verformten Zustand Energie zugeführt wird (z. B. Wärmeenergie) setzt eine chemische Reaktion ein, die so genannte Vulkanisation. Anschließend ist das Produkt nicht mehr verformbar sondern dauerhaft elastisch. Die Form wird damit fixiert.

Bei der Vulkanisation werden die bislang frei beweglichen Molekülketten auf chemischem Wege miteinander verbunden, sie sind jetzt vernetzt und können nicht mehr gegeneinander abgleiten. Gummi ist damit auch nicht mehr schmelzbar, wie es zum Beispiel die Thermoplaste sind, einer Gruppe der Kunststoffe.

Nicht weniger kompliziert als die chemische Zusammensetzung eines Elastomers sind seine physikalischen Eigenschaften. Gummi, oder Elastomere, gehen bei der Vulkanisation von einem überwiegend plastischen in einen überwiegend elastischen Zustand über. Der Werkstoff zeigt also eine Kombination verschiedener Eigenschaften, die mit Hilfe physikalischer Prüfmethoden untersucht werden kann.

So wird zum Beispiel eine Dichtung, die zwischen zwei Stahlflächen verpresst und dabei verformt wird, einen Druck gegen diese Flächen ausüben, und dadurch erst die Dichtwirkung ermöglichen. Eben weil sie elastisch ist. Andererseits wird die Kraft, mit der die Dichtung „ihre Arbeit“ verrichtet, im Laufe der Zeit nachlassen. Man spricht dabei von der Spannungsrelaxation, für die der plastische Anteil im Eigenschaftsprofil des Materials verantwortlich ist.

Stellen Sie sich einen Stab aus Gummi vor, den Sie am unteren Ende verdrehen (in Torsion verformen). Wenn Sie nun an dem oberen Ende des Stabes die Reaktion messen würden, könnten Sie feststellen, das die Reaktion erstens zeitlich verzögert erfolgt und zweitens die Kraft, die unten angewendet wurde am oberen Ende nicht in vollem Umfang ankommt. Das bedeutet, dass das Material Gummi einen Teil der Energie „verschluckt“, oder besser gesagt einen Teil der Bewegungsenergie in Wärmeenergie umwandelt. Der Fachmann nennt das Dissipation.

Dieses Verhaltensmuster lässt sich physikalisch sehr ausführlich beschreiben, was jedoch den Rahmen dieses Artikels deutlich sprengen würde. Zu erwähnen wäre jedoch, das auch dieses plastischeVerhalten durchaus einen technologischen Sinn haben kann.

Je nach Zusammensetzung des Elastomers wird sich diese Kombination aus plastischem und elastischem Verhalten mehr zur einen oder anderen Seite verschieben. Die plastische Komponente kommt immer dann zu Ehren, wenn dämpfende Eigenschaften eines Materials gefragt sind. Bei einer Stossbeanspruchnung wird dann ein großer Teil der Energie dissipiert und eben nicht gespeichert und in Form von Elastizität zurückgegeben.

Veranschaulicht werden kann das sehr gut an folgendem Beispiel: Wenn man ganz gezielt Gummi-bälle aus unterschiedlichen Kautschuksorten herstellt, werden diese Bälle, wenn man sie auf eine Tischplatte fallen lässt, unterschiedlich hoch zurückspringen. Der Grund dafür ist innere Reibung, die in Abhängigkeit von der Struktur der Moleküle mehr oder weniger intensiv stattfindet und damit auch mehr oder weniger Energie im Wärme umwandelt. Diese dissipierte Energie steht dann für das zurückspringen nicht mehr zur Verfügung.

Bei der Entwicklung technischer Gummiartikel sind die verschiedensten Anforderungen zu berücksichtigen. Nicht nur die Eigenschaften des Fertigteils spielen eine Rolle, auch die Verarbeitbarkeit des halbfertigen Produkts steht stets im Fokus der Erfordernisse. Erst das Zusammenwirken von Chemikern, Physikern und Ingenieuren führt zum gewünschten Erfolg. An jeder Stelle des Entstehungsprozesses ist die fachliche Kompetenz aller Beteiligten gefordert.

Viele chemische und physikalische Zusammenhänge in Bezug auf den Werkstoff Gummi sind mittlerweile gut verstanden, aber noch lange nicht alle. Die Forschung arbeitet daran, auch diese „Geheimnisse“ zu lüften. Auch die Verwendung neuer Mischungsbestandteile wird untersucht, man denke zum Beispiel an das Stichwort Nanotechnologie, dass mittlerweile in (fast) aller Munde ist.

Ich habe versucht, dem interessierten Laien mit diesem Artikel einen winzigen Einblick in die Welt der Kautschuktechnologie zu verschaffen,.Vielleicht sehen Sie den Stoff Gummi jetzt mit etwas anderen Augen.

Ein Gastbeitrag von Autor: H2011

 

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